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Tour of Libya (UCI 2.2; 17.03.-23.03.07)

 

 

 

 

 

15.03.07 Tag 1: Köln-Tripoli

 

 

 

 

 

Ich muss noch ein wenig verschlafen gewesen sein, als ich in den frühen Morgenstunden am Schalter einen Schrieb absegne, in dem mir eine Konventionalstrafe in Höhe von USD 10.000 angedroht wird, falls ich aufgrund meines fehlenden Visums die direkte Rückreise nach Deutschland antreten muss. 

Zum Sonnenaufgang sitze ich jedenfalls im Flieger, der mich nach seiner Enteisung erstmal ins Nachbarland befördert. In Amsterdam treffe ich auf einen Teil meiner Mannschaftskollegen: Marcel, Rene und Stefan. Zusammen geht es nach diesem Zwischenstopp und einer Frühstückspause Richtung Tripoli, dem Ziel der Reise. Mein Glück, dass die deutschen Renner dort wie Staatsgäste erwartet werden. Der Geldbeutel wird geschont, weil die Formalien schnell geklärt sind. Ebenso rasant erfolgt der anschließende Transfer zum Hotel. Die Fahrer unserer an Pferden und Hubraum starken amerikanischen Pickups nehmen stets die Diretissima durch den zum Zentrum hin zunehmenden Stadtverkehr: Es gilt das Recht des Stärkeren. So kommen wir zeitig genug in unserer Herberge an, um noch ein paar Meter auf dem Rad zu sitzen. Vorher laufen wir in der Lobby dem restlichen Teil der Mannschaft über den Weg: Robert, Jörg und sein Vater Jürgen, der die Aufgabe des sportlichen Leiters für die kommenden Tage übernimmt. Die kurze Betätigung an der frischen Luft gibt mir die Sicherheit, dass das Rad den Flug mit Ausnahme von zwei fehlenden Lenkerendstopfen, die sich während der Reise wohl einen Weg aus dem ramponierten Radkarton suchten, gut überstanden hat. 

Beim Abendessen stehen Speisen bereit, deren Anblick meine Augen nicht herausfordert: Reis, Nudeln und Kartoffeln in vielen Variationen. Dazu gibt es Limonade in allen erdenklichen Geschmäckern und sogar alkoholfreies Bier. Gut genährt geht es ins Bett. 

 

 

 

 

 

16.03. Tag 2: Einrollen

 

 

 

 

 

Nachdem der gestrige Tag mit einer Überladung der Energiespeicher endete, beginnt der heutige Tag mit einer solchen. Kuchen und Honig liegen auf meinem Teller. Eine schmackhafte Zusammenstellung, die ich auch in den Folgetagen wähle. Das Frühstück taugt als Grundlage für eine Distanzeinheit. Auf dem Programm stehen zwei Stunden Einrollen. Dabei wird unser Team Profiline von den Abgesandten der zweiten deutschen Mannschaft Nordland-Hamburg begleitet: Peter, Franck, Allan und Malte, dem sportlichen Leiter. Die Sonne scheint, der Wind weht kräftig: Die gefühlte Temperatur dürfte nicht viel wärmer sein als der zu dieser Zeit in Deutschland einsetzende Wintereinbruch... 

Nach einer weiteren Mahlzeit vertreten wir uns die Beine am Hafen von Tripoli. In dieser Gegend begegnet uns ein Hauch von Tourismus, kleinere Seitengassen sehen aber wenig einladend aus. Ein Cafe bietet sich zur Rast an, ehe wir nach knapp 30-minütigem Fußmarsch im 14. Stock unseres Hotels zur offiziellen Mannschaftsleiterbesprechung der Tour of Libya eintreffen. Hier präsentieren sich die Teilnehmer: Diese fahren für Nationalmannschaften (Libyen A+B, Ägypten, Algerien, Malta, Südafrika, Syrien, Tunesien) und Renngemeinschaften (Nordland-Hamburg, Pharmacie Centrale, Profiline). Anschließend werden die Startnummern verteilt: Ich bekomme die 13. Ein gutes Omen?

 

 

 

 

 

17.03. Tag 3: 1. Etappe Tripoli-Tarhona 123 km

 

 

 

 

 

Direkt im Zentrum von Tripoli geht es los. Bevor der neutrale Start erfolgt, wird das Material zum letzten Male auf seine Tauglichkeit hin überprüft; auch von offizieller Seite. In meinem Rücken höre ich ein aufgeregtes "tappa, tappa". Dieser Ausruf wird zunehmend lauter, bis mir jemand auf die Schulter klopft. Derweil habe ich schon Panzerband und Schere gezückt, um die offenen Enden meines Lenkers abzukleben. Der Vertreter des Kommissärs zieht zufrieden ab... Wenig später sind die Renner unterwegs. Der Wind kommt schräg von vorne, weshalb kleinere Fluchtgruppen wenig Aussicht auf Erfolg haben. Ich versuche diverse Male mein Glück, kann mir heute aber nur feste Beine bescheinigen. Trotz der Bedingungen wird stramm gefahren; der 36er Schnitt ist nicht in Trödelei begründet. Erstaunlich, dass ein Einheimischer über 2,5 min Vorsprung solo herausfährt... Nach dem Rennen gibt es einen Transfer zu einem kleinem Zeremoniell inmitten der Einöde; Bananen und Äpfel werden hier gereicht, bevor es zurück ins Hotel geht, wo der Tisch erst wieder zur besten Fernsehzeit gedeckt wird. 

 

 

 

 

 

18.03. Tag 4: 2. Etappe Tripoli-Gherian 138 km

 

 

 

 

 

Weil wir heute unser Hotel verlassen, verläuft die Phase nach dem Frühstück recht hektisch. Die Aufzüge sind aufgrund gepackter Koffer ständig blockiert. Meinen unförmigen Radkarton wuchte ich deshalb durch das Treppenhaus. So schwer ist er gar nicht, und vergleichsweise schnell komme ich voran. Danach habe ich keine Lust, auf den Konvoi, der stets geschlossen das Startareal ansteuert, zu warten. Ich schlage mich alleine ins Zentrum durch. Dort angekommen, muss ich feststellen, dass hier im Gegensatz zu gestern nichts nach Radrennen aussieht. Die fortgeschrittene Zeit erfordert das Ketten eines großen Ganges. Die roten Ampeln missachtend, es zählt schließlich das Recht des Stärkeren, kann ich, mittlerweile wieder auf der Höhe des Hotels, den Besenwagen ausmachen, der auch während des morgendlichen Transfers den Abschluss bildet. Immerhin: Die Beine sind gut! Das stelle ich auch während eines kurzen Fluchtversuches fest, den ich, auf die erste Sprintwertung folgend, unternehme. Die beiden Mitstreiter, zwei Tunesier, wollen bald nicht mehr mitführen, und so lasse ich sie stehen, bis auch mein Ausriss beendet wird. Das Feld kommt 2h später nach gesitteter Fahrweise geschlossen an den Fuß des Schlussanstiegs. Gherian, unser Tagesziel, liegt ca. 800m üNN, und ist somit das Dach der Tour. Schnell hat sich eine Vierergruppe gebildet, kurz danach 9 Verfolger, unter denen auch ich mich befinde. Als ob ich nicht ausgelastet gewesen wäre, versuche ich mittels Kaisersprint das 100m-Loch zu den Führenden zu schließen. Auf halber Strecke verhungere ich aber, und so werde ich wieder bei den Verfolgern aufgenommen. An der Rennsituation ändert sich in Folge nichts mehr. Der Zielstrich befindet sich nach einer Senke am Hang. Daher kann ich im Spurt tatsächlich den ein oder anderen Renner hinter mir lassen und werde 9.
Das sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindliche Internetcafe lädt am Nachmittag zum Verweilen ein. Die Analogverbindung ist reine Geduldssache, ebenso wie das um eine Stunde nach hinten verschobene Abendessen.

 

 

 

 

 

19.03. Tag 5: 3. Etappe Gherian - Bani Walid 170 km

 

 

 

 

 

Kurz nach dem Frühstück werden unsere Räder überraschenderweise auf die Fahrdienste verteilt. Die Sportler machen es sich in Bussen bequem und werden zum Start gefahren. Irgendwann hält der Bus, ohne dass die Umgebung, weit und breit nur Wüste, einen besonderen Anhaltspunkt für einen Start liefert. Vielleicht stoppt die Karawane hier, weil die Uhrzeit in diesem Moment genau 8:30 ist...  

Laut Streckenplan erwartet uns eine 170km lange Abfahrt. Aber noch in der ersten Rennstunde wird das Feld an einem Hügel sortiert. Das gelbe Trikot wehrt schließlich diverse Attacken von direkten Gegnern ab, und bald ist alles wieder zusammen gelaufen. Im weiteren Rennverlauf versuchen Flüchtende immer wieder mal ihr Glück; die letzten werden 3km vor dem Ziel gestellt, so dass es zum Massenspurt kommt: Stefan wird sehr guter 3. und Jörg 10. Weil offensichtlich ein paar Renner ihre Beine hängen gelassen haben und ein paar Sekunden verlieren, rutsche ich auf Platz 11 in der Gesamtwertung vor. Da mich bis Platz 8 nur wenige Sekunden trennen, verbringe ich den Nachmittag mit penibler Radpflege.

 

 

 

 

 

20.03. Tag 6: 4. Etappe Bani Walid-Misurata 130 km

 

 

 

 

 

Da ich gestern das Schmieren meiner Kette vergessen habe, darf ich heute kurz vor dem Start in Al Dschasiras Verbreitungsgebiet meine Künste zeigen. Den Menschen mit der Kamera scheint es sehr zu interessieren: Also schalte ich in bester Werkstattmanier alle Gänge durch und tue so, als ob ich an den verschiedenen Schrauben der Schaltung die Feineinstellung vornehme. Ein Eingriff ist natürlich nicht erforderlich, denn noch funktioniert alles tadellos. Dieses ändert sich im Verlaufe des Morgens schlagartig, als ein Tunesier versucht, seinen Vordermann in der Vegetation zu überholen. Er überschlägt sich dabei und sein umherfliegendes Rad sorgt für eine Selektion des Feldes. Auch ich vermesse den Asphalt und ziehe mir neben den üblichen Abschürfungen noch eine Prellung zweier Rippen zu. Schwerwiegender ist aber der Schaden am Material: Schaltauge und auch Schaltwerk sind verzogen. Den 11er kann ich fortan gar nicht mehr schalten; für den Einsatz des 12ers bedarf es jedes Mal Beschwörungskünste. Auf dieser Rückenwindetappe soll das ein klarer Nachteil sein: Als Grobmotoriker fehlt mir die Fähigkeit des schnellen Pedalierens, und so verliere ich mehr als 5min auf den Sieger, der mit einem 53er Schnitt ins Ziel geschoben wird. 

Zur Beruhigung der Nerven gibt es für mich mittags im Speisesaal sowohl die Kuchenplatten unseres als auch die der benachbarten Tische. Der Zuckerschub reicht aus, um die Schäden an meinem Velociped zu richten und den nächstgelegen Höker aufzusuchen, wo für ungerechnet 0,80€ ein Großeinkauf an motivationssteigernden Lebensmitteln getätigt wird.

 

 

 

 

 

21.03. Tag 7: 5. Etappe EZF Misurata 22 km

 

 

 

 

 

Tagesprogrammpunkt ist ein 22km langes Zeitfahren. Deshalb verlaufen die frühmorgendlichen Stunden stressfreier als die der Vortage. Auch der Schlaf war besser als erwartet, doch trotzdem verspüre ich erst heute die Auswirkungen des gestrigen Sturzes in vollster Weise. Bei der Fahrt zum Start kann ich zwar halbwegs auf dem Rad sitzen; Vortrieb im Wiegetritt ist aber nicht möglich. Ein systematisches Warmfahrprogramm spare ich mir deshalb, und so geht es nach einem Sonnenbad auf die Rampe. Die Strecke verläuft 11km gegen den strammen Wind, danach führt sie 11km auf der anderen Straßenseite zurück. Diverse Kuriositäten stellen den Sinn einer solchen Zeitfahrprüfung in Frage: Robert, bis dahin Bestplatzierter von Profiline, wird vorsätzlich falschgeleitet und fährt auf der Stadtautobahn mit Lastwagen um die Wette. Derweil machen seine Konkurrenten, am Spiegel ihrer Mannschaftswagen hängend, ordentlich Zeit gut. Erfreulich, dass der Sieger des heutigen Spektakels, der Zeitfahrspezialist im Trikot von Nordland-Hamburg Franck, seinen Erfolg auf ehrliche Art und Weise erringt.

Da die Rundfahrt von mir nur noch unter Trainingsaspekten betrachtet wird, nutze ich den freien Nachmittag, um eine zweite Einheit zu absolvieren. Malte begleitet mich dabei, und wir bemerken, dass sich zunehmend Wolken vor die Sonne schieben. Danach geht es noch mal, mittlerweile im warmen Pullover bekleidet, in den Kaufladen auf der anderen Straßenseite.

 

 

 

 

 

22.03. Tag 8: 6. Etappe Misurata-Zletin 120 km

 

 

 

 

 

In der Nacht hat es tatsächlich geregnet. Der italienische Kommissär verkündet nach dem Frühstück, dass die ersten 7km von der Rennleitung neutralisiert worden sind: Auf Teilen der Strecke soll das Wasser knöchelhoch stehen... Noch in der Neutralisation haben zwei Malteser das Rennen aufgegeben. Ich bin mehr als warmgefahren und beschließe, mich diesen Tag hinten draufzulegen. Schlag 12 wird der Zielstrich in der Gemeinsamkeit fast aller Renner überfahren. 

Nachmittags gönne ich mir eine Auszeit. Nach der Siesta findet sich die Zeit, ein Internetcafe aufzusuchen und das Rad zu entsanden. Auf der morgigen Schlussetappe gilt es, sich noch einmal von der besten Seite zu zeigen.

 

 

 

 

 

23.03. Tag 9: 7. Etappe Zletin-Tripoli 150 km

 

 

 

 

 

In der Rückschau hat mich die Nummer 13 in den letzten Tagen nur mäßig mit Glück gesegnet. Daher stecke ich sie mir diesen Morgen, wie es Brauch im internationalen Radsport ist, verkehrt herum auf das Trikot. Unmittelbar vor dem Start legt ein freundlicher libyscher Kommissär sein Veto ein, und es kommt zu einer außerplanmäßigen Verzögerung, die aber nicht der Grund für das verspätete Eintreffen im 150 km entfernten Tripoli ist. Das Feld ist den blanken Zahlen nach nur in gutem Trainingstempo unterwegs – der Wind kommt jedoch strack von vorne. Im Spurt des Feldes sorgen Stefan (5.), Robert (8.), Marcel (12.) und Jörg (16.) für einen gelungenen Abschluss.

 Abends nehmen wir an einer Feier teil, in der Sieger und Platzierte geehrt werden. Unmittelbar vor der Nachtruhe lässt die Reisekasse noch einen Gang in einen nahegelegenen Supermarkt zu.

 

 

 

 

 

24.03. Tag 10: Tripoli-Köln

 

 

 

 

 

Nach einem ausgiebigem Frühstück nutzt das Team Profiline in halber Mannschaftsstärke das einladende Wetter, um noch einmal auf zwei Rädern Tripolis Stadtluft zu schnuppern. Anschließend erhält mein Karton eine zweite Schale aus Klebeband: Während der Rückreise soll schließlich nichts verloren gehen. Nachdem die Sachen verstaut sind, wartet auch schon der Fahrer des Flughafenexpress’ auf uns. Die Ausreise wird durch diverse Stempel bestätigt, ehe die Reifen des Fliegers den Kontakt zur Rollbahn verlieren.